Die Todesumstände von Knut, dem weit über die Grenzen Deutschlands bekannten Eisbären des Berliner Zoos, sind nach vier Jahren enträtselt worden. Die Lösung stellt eine kleine wissenschaftliche Sensation dar, die am 27. August in der Nature-Zeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht wurde. Knut litt an einer Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis, einer Gehirnentzündung, die durch Autoantikörper gegen das Rezeptorprotein NMDA ausgelöst wird. Die Autoimmunerkrankung ist erst seit 2007 bekannt und wurde bisher nur bei Menschen diagnostiziert.
Knut wurde 2006 im Berliner Zoo geboren und von dem Tierpfleger Thomas Dörflein aufgezogen. Das Eisbärbaby war der Publikumsliebling des Zoos und das Gespann aus Tier und Pfleger erlangte internationale Bekanntheit. 2011 ertrank der Eisbär nachdem er während eines epileptischen Anfalls in den Wassergraben seines Geheges stürzte. Außergewöhnlich umfangreiche Untersuchungen wurden vorgenommen, um den Auslöser des Anfalls zu identifizieren, doch Ergebnisse, die eine befriedigende Erklärung hätten liefern können (beispielsweise eine bakterielle oder virale Infektion), blieben aus. Letzte Diagnose: Enzephalitis mit unbekannter Ursache.
Diese Diagnose wurde vor der Identifizierung der Anti-NMDA-Rezeptor-Antikörper auch häufig bei menschlichen Patienten mit dieser besonderen Erkrankung gestellt – eine Parallele zu Knut, die den Neurologen Dr. Harald Prüß von der Charité und Prof. Alexander Greenwood, Leiter der Abteilung für Wildtierkrankheiten am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, dazu veranlasste, Knuts Gehirn noch einmal zusammen mit weiteren Kollegen genauer zu untersuchen.
Eine Autopsie und histologische Analyse des Gewebes bestätigte die Gehirnentzündung. Im Liquor, der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit, fanden die Forscher außerdem eine sehr hohe Konzentration der Anti-NMDA-Rezeptor-Antikörper. Goldstandard für den Nachweis dieser Autoantikörper sind Immunfluoreszenztests (IFT) mit neuronalen Gewebesubstraten und transfizierten Zellen. Diese wurden auch bei der Untersuchung von Knuts Liquor verwendet und ergaben einen außergewöhnlich hohen Antikörpertiter von über 1:1.000. Die Ergebnisse wurde mit Hilfe des EUROIMMUN IFT Autoimmun-Enzephalitis-Mosaik 1 bestätigt. Die Anwesenheit weiterer Autoantikörper gegen andere neuronale Proteine (AMPA-Rezeptoren, Caspr2, LGl1, GABAb), die ebenfalls mit Autoimmun-Enzephalitis in Zusammenhang stehen, konnten mit dem Test hingegen ausgeschlossen werden.
Damit erfüllte das Krankheitsbild von Knut alle Kriterien, die auch bei Menschen angewendet werden, um eine Anti-NMDAR-Enzephalitis sicher zu diagnostizieren: 1) Klinische Symptome einer Enzephalitis (z.B. epileptische Anfälle, Bewusstseinsstörungen, Persönlichkeitsveränderungen), 2) Hinweise auf eine Entzündung des Gehirns, 3) Ausschluss anderer, z.B. bakterieller oder viraler Auslöser für die Enzephalitis, 4) Autoantikörper gegen den NMDA-Rezeptor.
Der Fall des Eisbären lässt die Wissenschaftler nun vermuten, dass Autoimmun-Enzephalitiden nicht nur bei Menschen sondern bei Säugetieren allgemein häufiger auftreten könnten als bisher angenommen. Sollte dies zutreffen, könnte Tieren mit den Symptomen einer Enzephalitis womöglich, wie den menschlichen Patienten, durch immunsuppressive Therapien geholfen werden.
Originalbeitrag: Prüß H. et al., Scientific Reports 2015, 5:12805.
Weitere Beiträge zum Thema in der Presse: Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online, FAZ