Die Häufigkeit von intrathekal produzierten Antikörpern gegen das Epstein-Barr-Virus (EBV) bei Patienten mit multipler Sklerose (MS) ist überraschend gering im Vergleich zu Antikörpern gegen andere mikrobielle Erreger. Dies konnte in einer gemeinsamen Studie zwischen EUROIMMUN und Wissenschaftlern an der Charité Universitätsmedizin Berlin gezeigt werden. Das Ergebnis ist verblüffend angesichts des engen Zusammenhangs zwischen EBV und MS.
Es wird angenommen, dass EBV eine ursächliche Rolle bei multipler Sklerose spielt, aber die zugrunde liegenden Mechanismen sind nach wie vor unklar. Das charakteristischste Laborergebnis bei multipler Sklerose ist die intrathekale Produktion von Immunglobulin G (IgG), welches in 90 % der Patienten zu finden ist. Das intrathekal produzierte IgG ist polyspezifisch und zum Teil gegen verschiedene mikrobielle Antigene gerichtet, z. B. Masern-, Röteln- und Varizella-Zoster-Viren (VZV) – was als MRZ-Reaktion bezeichnet wird. Die MRZ-Reaktion ist der bisher spezifischste Labormarker für MS.
Die Wissenschaftler verglichen die Seroprävalenzen und Häufigkeiten von intrathekal produzierten Antikörpern gegen EBV und zehn andere Mikroorganismen. Neben den MRZ-Erregern waren das Borrelia burgdorferi, Cytomegalovirus, Herpes-simplex-Virus Typ 1/2, Mumpsvirus, Parvovirus B19, Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus und Toxoplasma gondii. Die Antikörper wurden in paarweise entnommenen Liquor- und Serumproben mittels EUROIMMUN-ELISA nachgewiesen. Die Produktion von intrathekal gebildeten Antikörpern wurde durch Berechnung von Antikörperindizes gemäß Standardformeln bestimmt.
Alle MS-Patienten (100 %) waren EBV-seropositiv. Die Seroprävalenzen für die weiteren zehn Erreger lagen zwischen 94 % für VZV und 6 % für B. burgdorferi. Die Häufigkeit intrathekal produzierter Antikörper bei Patienten, die seropositiv für die entsprechenden Erreger waren, betrug etwa 40 % für Masern-, Röteln- und Mumpsviren sowie VZV, 70 % für Parvovirus B19, aber nur 10 % für EBV. Die Häufigkeit intrathekal gebildeter Antikörper war für EBV am geringsten von allen untersuchten Erregern.
Die Ergebnisse der Studie sind scheinbar paradox, unterstreichen aber die besondere Rolle von EBV bei MS. Die Autoren stellen die Hypothese auf, dass die für die intrathekale Antikörperproduktion verantwortlichen B-Zellen während und durch eine akute EBV-Infektion darauf vorbereitet werden, in das zentrale Nervensystem (ZNS) von MS-Patienten einzuwandern (Priming). Da es unter physiologischen Bedingungen keine antikörperproduzierenden Zellen im ZNS gibt, müssen diese Zellen aus dem systemischen Kreislauf migrieren. Nur B-Zellen, die durch zurückliegende Infektionen und Impfungen schon vor einer akuten EBV-Infektion präsent waren, sind demnach verfügbar, um auf die Einwanderung in das ZNS vorbereitet zu werden. Zum Zeitpunkt einer akuten EBV-Infektion sind jedoch noch keine anti-EBV-antikörperproduzierenden Zellen für dieses Priming verfügbar. Zukünftige Studien könnten die Infektionshistorie von MS-Patienten im Hinblick auf deren EBV-Erstinfektion untersuchen, um dies in Beziehung zur Bildung von intrathekalen antimikrobiellen Antikörpern zu setzen.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie war, dass die Ergänzung von Mumpsvirus und Parvovirus B19 bei der MRZ-Reaktion deren Sensitivität von 34 % auf 52 % erhöhte. Das lässt vermuten, dass das erweiterte Panel, bekannt als MRZ-UP, den diagnostischen Wert der MRZ-Reaktion bei MS erhöhen könnte.
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Pache F et al. Broad Analysis of Serum and Intrathecal Antimicrobial Antibodies in Multiple Sclerosis Underscores Unique Role of Epstein-Barr Virus. Neurol Neuroimmunol Neuroinflamm 12(1):e200332 (2025). DOI: 10.1212/NXI.0000000000200332. Epub 2024 Nov 27. PMID: 39602676; PMCID: PMC11616972.